Die Ideen Maria Montessoris bilden die pädagogische Basis unserer Schule.
Bildung der Persönlichkeit
„Wenn das Kind die Periode der individuellen Bildung überschritten hat, um in die der Bildung der Persönlichkeit überzugehen, und man konzipiert die Sekundarbildung auf der Linie jener ersten Stufe, geht man gegen die Natur.“ – Maria Montessori
Der Übergang nach einer sechsjährigen Grundschulzeit an eine weiterführende Schule entspricht den Entwicklungsstufen nach Maria Montessori. Demnach befinden sich die Heranwachsenden zwischen 12 und 18 Jahren in der dritten Phase der Entwicklung. Das Jugendalter bezeichnet Montessori als „labile“ Phase: „Es ist das Alter der Zweifel und Unschlüssigkeit, der heftigen Gemütsbewegungen und der Entmutigung. In dieser Zeit tritt eine Verminderung der intellektuellen Fähigkeiten ein. Die Schwierigkeit, sich auf das Studieren zu konzentrieren, hängt nicht von einem Mangel an gutem Willen ab, sondern sie macht eine der psychologischen Eigenschaften dieses Alters aus.“ (Maria Montessori, „Von der Kindheit zur Jugend“, Freiburg 1966, S. 133)
Diese Beobachtungen der Ärztin und Pädagogin Maria Montessori entsprechen Aussagen von Hirnforschern und Entwicklungspsychologen über die Zeit der Pubertät. Montessoris grundsätzliche Forderung nach einer weiterführenden Schule, die den tatsächlichen Bedürfnissen und Möglichkeiten der Jugendlichen gerecht wird, bleibt somit aktuell.
Die Jugendlichen fordern größtmögliche Selbstständigkeit ein und gleichzeitig haben sie ein großes Bedürfnis nach Schutz und Geborgenheit sowie Stärkung des Selbstvertrauens. In diesem Spannungsverhältnis bewegt sich die pädagogische Arbeit unserer Schule. Die Jugendlichen sind keine Kinder mehr und sollen auch nicht wie Kinder behandelt werden. Gleichzeitig benötigen sie aber unsere Unterstützung in dieser Phase, um ihre Persönlichkeit zu entfalten und Teil der Gesellschaft zu werden.
Das Prinzip der Freiheit
„Es kann versichert werden, dass auf allen Stufen der allgemeinbildenden Schule bei Kindern im Entwicklungsalter die individuelle Aktivität nicht gehemmt werden darf, welche auf solche Weise einem natürlichen Prozess psychischer Entwicklung‘ gehorcht. Es ist wahr, dass der Lehrer oder Studienrat in dem Maße, in dem das Niveau der Bildung steigt, ein immer bedeutenderes Amt versieht. Es besteht aber eher im ‚Wecken des Interesses‘ als in einem Unterricht, wie man ihn gewöhnlich versteht. Denn wenn die Kinder sich für einen Gegenstand interessieren, sind sie geneigt, sich lange Zeit mit ihm zu befassen und sich an ihm zu versuchen, bis sie eine Art ‚Reife‘ durch ihre eigenen Erfahrungen erreicht haben.“ (Maria Montessori, „Über die Bildung des Menschen“, Freiburg 1966, S. 5)
Auch für das Zeitalter der Jugend bleiben Maria Montessoris anthropologische Grundlagen und die daraus entwickelten pädagogischen Grundsätze leitend. Demnach sind Kinder von Anfang an vollwertige Menschen, die in ihrem Bestreben nach Autonomie unterstützt werden müssen.
Die sogenannte Polarisation der Aufmerksamkeit ist beim Lernen in der Montessori-Pädagogik zentral. Dies bedeutet die totale Konzentration auf einen selbst gewählten Gegenstand. Auch wenn im Jugendalter dieser unwillentliche Lernprozess des Kindesalters zunehmend zu einem willentlichen Konzentrationsprozess wird, bleibt das Prinzip Freiheit in der Montessori-Pädagogik grundlegend. Dies bedeutet, dass Jugendliche die freie Wahl der Arbeit in einer altersentsprechend vorbereiteten Umgebung haben sollen.
An der Freien Montessori Oberschule Hangelsberg wird dieses Prinzip vor allem in Lernbüros und Studienzeiten umgesetzt. Eigenaktivität und Freiheit betrachten wir als zentrale Voraussetzung für nachhaltiges Lernen. Die Selbsttätigkeit als Grundpfeiler der Montessori-Pädagogik gilt somit auch für das Jugendalter.
Das Prinzip der Freiheit wird bei Maria Montessori durch das Prinzip der Bindung vervollständigt.
Soziale Bindung
Der respektvolle Umgang miteinander und die emotionale Erziehung bleiben im Jugendalter wesentlich. Insbesondere in dieser Entwicklungsphase sind die Gefühle für Gerechtigkeit und persönliche Würde stark ausgeprägt. Die Ausbildung der Beziehungen zwischen den Jugendlichen, ihren Lehrerinnen und Lehrern und der Umgebung brauchen Zeit und Raum. Schule muss daher mehr bieten als Unterricht, sie ist ein sozialer Erfahrungsraum. An unserer Schule sind insbesondere der Kreis sowie häufige individuelle Gespräche wichtig, um diesem Bedürfnis nach Bindung und somit sozialen Beziehungen gerecht zu werden.
Die Einhaltung von Regeln und das Setzen von Grenzen sind somit kein Widerspruch zur Freiheit, sondern eine Notwendigkeit der Schulgemeinschaft für das soziale Miteinander. Regeln unterscheiden sich hierbei deutlich von Anordnungen und Gesetzen. Regeln setzen die freiwillige Verpflichtung der Jugendlichen zur Einhaltung aus Respekt vor den Mitmenschen voraus. Dies bedeutet, dass Regeln an unserer Schule prozessbegleitend sind und somit auch veränderbar bleiben. Bei Regelverletzungen setzen wir auf Einsicht und Wiedergutmachung statt Strafen.
„Diese Grenzen und Regeln müssen von der gesamten Institution beachtet werden; man darf bei den Jugendlichen nicht den Eindruck erwecken, als ob sie ahnungslos und unfähig seien, sich selbst zu disziplinieren.“ (Maria Montessori, Von der Kindheit zur Jugend, Freiburg 1966, S. 109)
Veränderte Rolle der Lehrperson
„Hilf mir, es selbst zu tun!“ – Maria Montessori
Die Grundhaltung der Lehrperson gegenüber den Schülerinnen und Schülern soll nach Maria Montessori von Liebe, Geduld und Respekt sowie Achtung der Würde des Kindes geprägt sein. Die Lehrtätigkeit an einer Montessori-Schule zeichnet sich durch die Zurücknahme der Aktivität der Lehrperson zugunsten der Selbsttätigkeit der Schülerinnen und Schüler aus.
Wir sehen die Aufgabe der Lehrperson eher in der Lernbegleitung, Beratung und Moderation von selbständigen Lernprozessen der Jugendlichen. Die Erwachsenen haben eine wichtige Funktion als Vorbild und die Selbstreflexion der eigenen Arbeit ist somit wesentlich.
Nicht nur Fachkenntnis, sondern lern- und entwicklungspsychologische Kenntnisse sind notwendig, um der individuellen Förderung und Forderung des Einzelnen gerecht zu werden. Dies setzt die Fähigkeit zur Beobachtung voraus. Die Fachlehrer sind verantwortlich für die Bereitstellung einer altersentsprechenden vorbereitenden Umgebung. Diese hohen Anforderungen an die Lehrperson sind nur im Team zu verwirklichen.
Erfahrungsschule des sozialen Lebens
„Die Erziehung muss (…) sehr weit und vollständig sein, nicht nur für diejenigen, die sich für einen intellektuellen Beruf entschließen, sondern vielmehr für alle Menschen, die in einer Epoche leben, die vom Fortschritt der Naturwissenschaften und ihren Anwendungen geprägt ist.“ (Maria Montessori, Von der Kindheit zur Jugend, Freiburg 1966, S. 130)
Maria Montessori setzt einen umfassenden Bildungsbegriff voraus, der die Integration von Berufs- und Allgemeinbildung sowie die Aufhebung des traditionellen Gegensatzes von Kopf- und Handarbeit beinhaltet. Von Maria Montessori selbst wurde keine weiterführende Schule gegründet. Ihre Ideen, wie eine Schule für Jugendliche aussehen könnte, hat sie im „Erdkinderplan“ skizziert.
Demnach sollten die Jugendlichen wirtschaftlich unabhängig von ihren Eltern sein und ihren Unterhalt durch einen Bauernhof, ein Hotel und ein Geschäft selbst verdienen und fern von der Familie in einem Internat leben, um selbständig zu werden. An unserer Schule versuchen wir Grundideen des „Erdkinderplanes“ durch die Tätigkeiten in den Werkstätten und in unserer Schülerfirma umzusetzen.
Maria Montessori stellte neben diese starke Praxisorientierung ebenso einen Studien- und Arbeitsplan für die weiterführenden Schulen auf.
Neben der moralischen Pflege, die bereits unter dem Aspekt der sozialen Bindung erläutert wurde, und der Leibespflege, die Sport, Arbeit in Werkstätten, Exkursionen und eine gesunde Ernährung umfasst, beschrieb Maria Montessori ein Programm und Methoden, die einen Bildungsauftrag formulieren, welcher heutigen Rahmenlehrplänen durchaus entspricht.
- „Den Weg zu den Möglichkeiten eines persönlichen Ausdruckes des Jugendlichen öffnen.“ (Musik, Sprache, Kunst)
- „Auf das antworten, was wir als die schöpferischen Elemente des psychischen Seins beim Menschen allgemein betrachten.“ (Moralische Erziehung / Ethik, Mathematik, Sprachen)
- „Den Jugendlichen mit der augenblicklichen Kultur in Beziehung setzen, in dem man ihm eine umfassende Bildung vermittelt.“ (Geografie, Biologie, Chemie, Physik und Geschichte)
Gender-Hinweis:
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit haben wir eine gendergerechte Form von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern gewählt. Wir möchten darauf hinweisen, dass dies aus rein redaktionellen Gründen geschieht und keinerlei Wertung beinhaltet. Selbstverständlich beziehen sich die Angaben auf alle Geschlechter.